Das hört sich jetzt sicherlich erst mal komisch an. Wenn du aber überlegst, dass das von einer Person kommt, die eine Zwangsstörung hat, lässt es dich evtl. aufhorchen. Denn ich war immer super selbst kontrolliert. Ich habe früher nie, Kaffee auf den Boden verschüttet, mich selbst ein gekleckert oder hatte nie Zahnpasta-Flecken auf meinem Oberteil.
Mittlerweile bin ich gefühlt, die Schusseligkeits-Queen. Ich weiß gar nicht, wie oft mir in der letzten Zeit der Kaffee aus der Tasse tropft, mir beim Kochen was auf den Boden fällt oder meine Schuhe einen Fleck bekommen.
Nun könntest du denken, tja, Flecken auf weißen Turnschuhen, wie schrecklich. Für mich bedeutet es aber tatsächlich Leichtigkeit, Freiheit und Unkontrolliertheit. Was für mich ein unglaublich gutes Gefühl ist. Es bedeutet für mich nämlich, dass ich schon sehr weit im meinem Zwangs-Überwindungs-Prozess bin.
Weißt du, warum ich in meinem Logo Ginkgo-Blätter verwende? Der Ginkgo gilt als Symbol der Hoffnung.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs, im August 1945 wurde von den Amerikanern eine Atombombe über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen. Die Pflanzen und Bäume in unmittelbarer Nähe des Abwurfsortes (Epizentrum) wurden völlig verbrannt und jegliche Natur war ausgelöscht. Der Ginkgo, der ungefähr einen Kilometer vom Explosionszentrum entfernt neben einem Tempel stand, schien nach der Explosion ohne irgendwelche großen Wuchsanormalien auszuschlagen (der Tempel selber wurde zerstört).“
Diese große Widerstandsfähigkeit nehme ich als Beispiel für meinen Genesungsweg. Du erinnerst dich? Mit Ende 20 war meine Zwangsstörung so stark ausgeprägt, dass ich unsere Wohnung nicht mehr verlassen konnte. Ich saß nur noch auf der Couch und starrte vor mich hin. Doch mit Hilfe von SSRI (Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) und einer kognitiven Verhaltenstherapie (Expositionen mit Reaktionsmanagement) habe ich mir Schritt für Schritt mein Leben zurückerobert. Seitdem lebe ich ein schönes Leben mit Zwangsstörung (kleinere und größere Rückfälle inkl.). Mein langjähriger Partner und ich (mittlerweile 43 Jahre alt) haben geheiratet, wir haben wunderschöne Urlaubsorte besucht, ein altes Häuschen gekauft und saniert und leben dort mit unseren 2 geretteten Hunden – den Möpsen Lilli & Max. Meinen Job musste ich nur 1x in dieser heftigen Phase unterbrechen, ansonsten war ich immer berufstätig.
Im Juli 2020 habe ich diesen Blog gestartet, um anderen Betroffenen und Angehörigen Mut zu machen. Entgegen der oft falsch dargestellten Meinung, dass eine Zwangsstörung nur schwer therapierbar ist, möchte ich an meinem Beispiel darstellen, dass es eben doch möglich ist. Ja, die Zwangsstörung spielt immer ein bisschen mit, aber Dank meiner Therapeutin habe ich so viele gute Tools für mich, dass ich mein Leben so leben kann, wie ICH möchte und nicht wie der Zwang.
Ich werde nicht müde, meine Geschichte zu erzählen. Es gibt einen Weg, die Zwangsstörung zu überwinden.Gib die Hoffnung bitte nie auf!
Im Dezember mögen viele Menschen Jahresrückblicke. Sie reflektieren die letzten Wochen und Monate. Mir ist dabei die Werte-Übung von Anne Külz (gewähltes Vorstandsmitglied der DGZ und psychologische Psychotherapeutin spezialisiert auf Zwangsstörungen) in den Sinn gekommen. Diese haben wir während ihres „Akzeptanz- und Commitmenttherapie bei Zwangsstörungen“- Workshops auf der DGZ-Jahrestagung durchgeführt.
Die Übung gefällt mir persönlich gleich doppelt gut, da sie mir während des Rückblicks eingefallen ist. Sie aber gleichzeitig auch für die Zukunft gilt.
Und nun zur Werte-Übung „Wert als Geste“:
Welcher Wert ist mir in dieser Woche wichtig?
Mit welcher Geste möchte ich ihn verbinden?
Bevor ich meinen Wert, den ich während des Workshops gewählt habe, mit euch teile, noch kurz noch ein paar erklärende Worte über Werte. Werte können uns als Kompass helfen, wie ein inneres Koordinatensystem, das Sicherheit gibt. Außerdem ist wertekonformes Verhalten an sich verstärkend und schenkt uns somit Energie. Für mich ist das ein wichtiger Punkt, der mich bei meiner Selbstwirksamkeit und somit dem Vertrauen in mich unterstützt.
Zur Zeit des Workshops war mir mein Selbstmitgefühl wichtig. Also habe ich gewählt, dass ich in der kommenden Woche „bei mir bleiben“ wollte, wenn manchen Menschen um mich herum ausschließlich negative oder pessimistischen Äußerungen von sich gaben. Als verbindenden Geste habe ich die Hand auf meine Brust gelegt.
Welchen Wert wirst du für dich wählen und mit welcher Geste verbinden?
Vor einiger Zeit hatte ich in einem Blogpost über Serien und Filme gesprochen, die Zwangsstörungen thematisieren.
Heute stelle ich euch eine weitere Serie vor, die ich euch sehr an Herz legen kann: Pure. Ihr findet sie momentan in der ARTE und ZDF Mediathek zum Streamen.
Die Serie basiert auf den gleichnamigen Roman von Rose Cartwright aus dem Jahr 2016. Sie ist geprägt von einer warmen aber auch düsteren Atmosphäre, sehr empathisch und das große Leid einer Betroffenen von Zwangsgedanken wird realistisch dargestellt. Es gibt sogar einige gute Tipps für den Umgang mit Zwangsgedanken, wenn auch mehr drin gewesen wäre. Auf jeden Fall regt sie zum Nachdenken an.
Ein wenig schade fand ich, dass das inhaltliche Thema der Zwangsgedanken der Hauptdarstellerin, sexuelle Zwangsgedanken sind. Da hätten sich bestimmt noch weitere gefunden. Allerdings glaube ich, dass damit eine größere Gruppe von Zuschauer*innen erreicht werden kann und es deshalb als Serie produziert wurde.
Leider sind es insgesamt nur 6 Folgen und am Ende der Staffel, wünschte ich mir, dass noch weitere folgen.
Habt ihr Pure schon gesehen? Und wenn ja, wie sie euch gefallen?
Am Freitag erschien eine neue zwanglos – Podcastfolge. Der Gründer von OCDLand, Martin Niebuhr, spricht in dieser Folge mit Prof. Dr. Lena Jelinek. Lena leitet am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) die Arbeitsgruppen “Klinische Neuropsychologie” und “Angst- und Zwangsstörungen” und forscht dort forscht u.a. daran, wie die Behandlung von Zwangsstörungen mit modernen Technologien verbessert oder erweitert werden kann.
Mit einer virtual reality Brille können z.B. Expositionen durchgeführt werden. Bisher habe ich mich noch nicht so sehr mit virtual reality als Behandlungsform von Zwangsstörungen beschäftigt. Und das wenige, was ich bisher wusste, war für mich eher eine Form von Vermeidung. Damit meine ich, wenn ich einen Wasch- bzw. Kontaminationszwang habe, und diese „nur“ mit virtual reality behandle, dann vermeide ich, wirklich in die Situation zu gehen und mich dem Zwang auszusetzen, z.B. eine öffentliche Toilette zu benutzen.
Was ich aber in dieser Folge gelernt habe, virtual reality kann als Einstieg genutzt werden oder als Zeitüberbrückung beim Warten auf einen Therapieplatz und ist somit keinesfalls nur eine Form von Vermeidung. Ich bin begeistert, dass diese Behandlungsform nun auch ergänzend genutzt werden kann.
Wie die meisten von euch wissen, können Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) die Behandlung von Zwangsstörung medikamentös unterstützen. SSRI gehören zur Gruppe der Antidepressiva.
Serotonin ist ein körpereigener Botenstoff, der die Verbindung der einzelnen Nervenzellen im Gehirn sicherstellt. Die Wiederaufnahmehemmer helfen dabei, die bei uns Zwangserkrankten gestörte Impulsweitergabe wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Somit unterstützen sie eine ohnehin vorhandene, aber eben entsprechend beeinträchtigte körpereigene Funktion.
Eine medikamentöse Behandlung sollte aber trotz der guten Erfolge, nicht nur als einzige Therapie bei Zwangsstörungen eingesetzt werden. Bei ca. 25% der betroffenen Patient*innen verbessert sich der Zustand trotz medikamentöser Behandlung nicht. Nach wie ist die kognitive Verhaltenstherapie, d.h. Expositionen mit Reaktionstherapie der Goldstandard, für die erfolgreiche Behandlung von Zwangsstörungen.
Bei den meisten Betroffenen lassen die innere Anspannung und die Zwangssymptome mit der Einnahme von SSRI nach. Ob wir Zwangserkrankten darauf ansprechen, kann meist erst nach 8-10 Wochen festgestellt werden. Bei mir hat sich das so dargestellt, dass ich mich ruhiger gefühlt habe und mich überhaupt imstande fühlte, meine Verhaltenstherapie zu beginnen. Wenn sich die Symptome bessern, sollte die Einnahme noch eine gewisse Zeit fortgesetzt werden. Meistens wird ein Einnahme-Dauer von ca. mind. 1 Jahr empfohlen.
ABER: ist euch mal aufgefallen, dass es für keine Empfehlung gibt, wie lange sie eingenommen werden dürfen?
Lest das nochmal.
Ich habe schön öfters dazu recherchiert, aber nie etwas gefunden. Mein damaliger Psychiater hatte mir gesagt, dass es viele Menschen gibt, die ihr Leben lang Antidepressiva nehmen. Aber das hat mir nicht ausgereicht als Antwort.
Also nahm ich die DGZ Jahrestagung im September als Anlass, genau diese Frage an die Expert*innen vor Ort zu stellen. Und wisst ihr was, es gibt tatsächlich keine wissenschaftlich-fundierte Antwort darauf. Dbzgl. wurden leider nie Studien durchgeführt.
Ich finde das äußerst schade, da mich das interessieren würde. U.a. auch die Frage, ob die Wirkung von SSRI nach einer gewissen Einnahme-Dauer evtl. sogar nachlassen kann. D.h. ob evtl. ein Effekt eintreten kann, dass der Körper sich an Dosierung xyz gewöhnen kann usw.
PPS: In diesem Post bin ich nicht auf die Nebenwirkungen von Antidepressiva eingegangen. Diese dürfen natürlich nicht ungesagt bleiben, hätten aber den Rahmen hier gesprengt. Infos dazu findet ihr in vorherigen Posts.
Letzte Woche habe ich euch davon berichtet, dass am 7.11.2022 das Onlinegespräch „Ich bin mehr als eine Diagnose! – Umgang mit Selbststigmatisierung und Stigmatisierung durch andere“ stattfindet. Ich bin super happy, dass ich es geschafft habe, daran teilzunehmen. Mir persönlich hat der Part von Prof. Dr. med. Nicolas Rüsch am besten gefallen.
Was habe ich davon mitgenommen:
Stigma
ist eine Kaskade von Prozessen
Gruppen werden unterschieden, in unserem Fall Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Ihnen werden die folgenden Eigenschaften zugeschrieben: gefährlich, inkompetent, selbst schuld
In Machtgefällen findet Diskriminierung statt
Selbststigma
bedeutet, dass ich selbst eine psychische Erkrankung habe, die Vorurteile kenne und diesen zustimme und gegen mich verwende
ist nicht die Schuld der Betroffenen, sondern die Folge des sozialen Unrechts
geht häufig mit Scham einher
hat Verhaltensfolgen wie Zurückziehen, Geheimhaltung, ein Demoralisierungsprozess kann einsetzen „why try“
wer leidet unter Selbststigma: Menschen mit niedr. Selbstwert und Scham neigen dazu
Studien zeigen, dass Menschen an Lebensqualität verlieren, dass das Risiko für Suizid steigt und der Verlust von sozialem Netzwerk eintreten kann
Was ist das Gegengewicht: Empowerment und Recovery
Tja, und was soll ich sagen, ratet mal, was mein nächstes Buch sein wird? Richtig! „Das Stigma psychischer Erkrankung: Strategien gegen Ausgrenzung und Diskriminierung“ von Nicolas Rüsch. Ich werde berichten…
Am Freitag hat der letzte Teil des IWS (in Würde zu sich stehen) Online-Seminars stattgefunden. Insgesamt besteht es aus 3 Modulen à 2 Stunden. Martin Ferlesch vom Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Baden-Württemberg (LVPEBW) e.V. hat uns als Peer mit Humor und Wissen begleitet.
Doch was genau ist IWS? Es ist ein kostenloses Gruppenprogramm für Menschen mit psychischen Erkrankungen, um sie bei Offenheitslegungen zu unterstützen.
Und was habe ich gelernt?
Die Vor- und Nachteile von Offenlegung und Geheimhaltung in verschiedenen Umgebungen
Die verschiedenen Stufen der Offenlegung – von Geheimhaltung bis hin zu aktiver Verbreitung der eigenen Krankheitserfahrung
Meine eigene Geschichte strukturiert, würdevoll und wertschätzend zu erzählen, insofern ich mich dazu bereit fühle
Mein Zertifikat
Ihr wisst wie sehr mir die Entstigmatisierung von Zwangsstörungen am Herzen liegt. Trotzdem ist es mir immer wichtig, in welcher Umgebung und Situation ich über meine Erkrankung berichte. Das ist immer eine individuelle Entscheidung. Die Entscheidung ist eine wichtige Reaktion im Umgang mit Stigma. Sie kann Auswirkungen die Umwelt, d.h. öffentliche Stigmatisierung, haben, aber auch auf Selbststigma.
Und wenn du nun Interesse an dem Seminar hast, im Frühjahr findet das nächste statt. Ich halte dich gerne auf dem Laufenden, wenn der Termin feststeht.
Hattest du diesen Gedanken auch schon mal? Oder auch öfter? Während meiner schlimmen Zwangsstörungsphase mit Mitte 20 habe ich mir das so oft gewünscht. Dem Zwang nicht ausgeliefert zu sein, mein Leben selbstbestimmt in Freiheit und mit Vertrauen zu leben.
Doch jetzt rückblickend kann ich dazu nur sagen – nein! Ich möchte nicht wieder so sein wie vor der Zwangsstörung. Denn durch die Zwangsstörung habe ich u.a. gelernt:
auf meine Bedürfnisse zu hören
achtsam zu sein
meinen Körper zu spüren
Selbstmitgefühl für mich zu entwickeln
Gefühlen Raum zu geben
unangenehme Gedanken zu akzeptieren
das es Perfektion nicht gibt
und vor allem ganz viel Selbstvertrauen zu mir selbst, das u.a. durch die Verhaltenstherapie stark gewachsen ist.
Mit diesem Post möchte ich auf keinen Fall, Zwangsstörungen verharmlosen und so darstellen, dass sie mein Leben verbessert hat. Denn auf die vielen Jahre, die sie mir „geraubt“ hat, hätte ich auch gerne verzichtet. Ich möchte damit aufzeigen, dass ich es trotz den vielen Widerständen in meinem Leben geschafft habe, positiv zu sein und mich auf alles, was kommt zu freuen. Dem Leben neugierig und voller Freude zu begegnen.
Es gibt Zeiten, da ist uns einfach alles zu viel. Die aktuellen Geschehnisse, die Corona-Zahlen steigen wieder, alles wird teurer und dann steht noch die graue und nasse Jahreszeit kurz bevor. Vielleicht habt ihr auch gerade in eurem persönlichen Leben eine große Herausforderung. Wie sollen wir uns zu irgendwas motivieren? Wie fühlen wir uns wirklich?
Vielleicht fühlt sich euer Handeln sinn- und hoffnungslos vor. Vielleicht braucht ihr aber einfach nur ein wenig Zeit für euch. Um euch zu verwöhnen und so wieder neue Kraft zu tanken.
Wann wart ihr das letzte Mal stolz auf euch?
Wie es euch wirklich geht, weiß ich nicht. Aber ich möchte euch heute einfach mal sagen, wie stolz ich auf euch bin. Ich weiß wie kräfteraubend die Zwänge sein können und wieviel Energie wir jeden Tag dafür aufbringen müssen. Schaut mal wie weit ihr schon gekommen seid. Und je nachdem, wo in eurer Recovery ihr gerade steht, es wird wieder besser.
Es gibt Hoffnung.
Glaubt an euch.
Seid stolz auf euch! Ich bin es und ich feiere jede*n einzelne*n von euch, dass ihr jeden Tag euer Leben mit den Zwängen meistert.
Und je nach Art des Zwangs: fühlt euch virtuell von mir in den Arm genommen. Oder falls sich das für euch nicht gut anfühlt (Stichwort Kontaminationsangst), dann fühlt euch von mir gesehen und wertgeschätzt. Das gilt natürlich auch für alle anderen!
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