Überhöhtes Verantwortungsgefühl

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Ein überhöhtes Verantwortungsgefühl ist nicht selten bei Zwangsstörungen. Doch was bedeutet das?

Ein Beispiel für überhöhtes Verantwortungsgefühl aus meiner persönlichen Erfahrung

Diejenigen von euch, die mir schon etwas länger folgen, wissen, dass eine meiner schlimmsten Zwänge, die Angst vor HIV bzw. generell Viren, Bakterien etc. war. Das ist ein sehr gängiger Subtyp von Zwangsstörungen.

Kommen wir nun zu dem Beispiel Kosmetik-Termin. Vorab die Info: viele Kosmetiker*innen arbeiteten früher ohne Handschuhe. Eine liebe Freundin hat mir also eine Kosmetikerin empfohlen und da ich mich auf meine Freundin verlassen habe, habe ich dort einen Termin vereinbart. Die Kosmetikerin hat einen Raum bei sich zu Hause eingerichtet und es war supergemütlich. So weit so gut. Doch dann klingelte ihr Telefon. Sie ist also mitten während der Behandlung rausgegangen, kam zurück und hat sich die Hände nicht gewaschen, bevor sie mich weiter behandelt hat.

Und dann ging mein Kopfkino los:

  • Was, wenn sie etwas angefasst hat, was mich kontaminieren könnte
  • Dann bin erst mal ich kontaminiert
  • Und dann? Dann wäre es möglich, dass ich andere Menschen kontaminiere
  • Meinen Partner, meine Eltern, meine Schwiegereltern, meine Kolleg*innen
  • Sie könnten wegen mir krank werden
  • Sie könnten sterben
  • Die Firma könnte bankrottgehen
  • Ich könnte ins Gefängnis kommen
  • Im Gefängnis könnten mir wiederum noch schlimmere Dinge passieren.

An diesem Beispiel möchte ich verdeutlichen, wie ich als Betroffene vom 100. aufs 1000. kam. Wie ich dachte, dass das alles nur wegen mir möglich wäre. Es gipfelte aus in Allmächtigkeits-Fantasien. Und gleichzeitig wusste ich, dass es unsinnig ist. Oder gab es eine winzige Wahrscheinlichkeit, dass es doch passieren konnte? Was, wenn… Die Gedanken kreisten immer weiter und mein Leid wurde immer größer.

Viel Kraft war nicht mehr vorhanden, da ich schon sehr viele andere Zwänge hatte und Vollzeit arbeiten ging. Also entschied ich mich fürs Vermeiden, machte dort natürlich keine weiteren Termine aus und zog mich immer mehr von den Menschen aus meinem Umfeld zurück.

Was hat mir gegen überhöhtes Verantwortungsgefühl geholfen?

Du ahnst es schon – die kognitive Verhaltenstherapie mit Expositionen mit Reaktionsmanagement. Ich lernte mit Fantasie-Übungen die schlimmen Befürchtungen auszuhalten. Bis diese immer weniger wurden und dann ganz verschwunden waren. Sich jeden Tag seiner schlimmsten Angst zu stellen, ist unglaublich anstrengend. Doch es hilft. Ich habe mal den schönen Satz gehört „der Weg aus dem Zwang führt durch den Zwang“. Das beschreibt es für mich auf den Punkt.

Disclaimer

Es fällt mir nicht leicht, diesen Teil meiner Zwangserkrankung zu thematisieren. Ich möchte Menschen, die HIV-positiv sind, nicht diskriminieren. Deshalb mache ich nochmal deutlich, dass es ein Zwang von mir war und ich hoffe, damit verletze ich keine davon Betroffenen. Falls sich HIV-positive Menschen hier befinden und meinen Text lesen – ich wäre euch für euer (gerne auch anonymes) Feedback dankbar, wie ich so darüber berichten kann, dass sich Betroffene damit wohlfühlen. Lieben Dank dafür schon vorab.


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