Zwangsstörung etwas Positives – als meine Zwangsstörungen mein Leben mal wieder sehr eingeengt und dominiert haben, hat meine Therapeutin diesen Satz zu mir gesagt: „Versuchen Sie, den Zwang als Helfer anzuerkennen. Denn so werden Sie auch vor Gefahren gewarnt.“
Damit hat sie bei mir gleich 2 Volltreffer gelandet: zum einen, dass ich angefangen habe, darüber nachzudenken, dass die Zwänge mein Leben nicht nur einschränken, sondern mir auch helfen. Zum anderen die Zwänge als Teil meines Lebens anzunehmen und nicht immer zu versuchen, sie wegdrücken zu wollen.
Das war für mich wie eine Art Perspektivenwechsel. Die Zwangsstörung etwas Positives. Bisher habe ich die Zwänge immer nur als lästig und störend empfunden. Doch aus dieser anderen Sicht konnte ich sie besser annehmen und somit auch besser mit ihnen arbeiten, z.B. meine Übungen aus meiner Verhaltenstherapie.
Mal ein Beispiel um zu verdeutlichen was ich meine: nehmen wir meinen Zwang, die Haustür zu kontrollieren, ob diese auch wirklich zu ist. Der Zwang ließ mich immer und immer wieder nachschauen und prüfen, ob die Tür wirklich zu ist und oftmals kam ich viel zu spät zur Arbeit oder zu Verabredungen. Aber an und für sich ist es sinnvoll, die Tür abzuschließen, wenn man nicht zu Hause ist. So tritt die Versicherung in Kraft, wenn Einbrecher sich die eigene Wohnung ausgesucht haben usw.
Die Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen e.V. hat einen für meine Begriffe sehr treffenden und gut nachvollziehbaren Text geschrieben, den ich euch wie immer für einen optimalen Lesefluss im folgenden einfüge:
Die Rolle der Emotionen
Neben einer bestimmten Genstruktur sind aber auch in noch entscheidenderem Ausmaß bestimmte Lernerfahrungen für die Entstehung einer Zwangsstörung verantwortlich. Dabei geht es vor allem um die mangelnd ausgeprägte Fähigkeit Zwangsbetroffener, mit unangenehmen Emotionen, insbesondere Aggression und Angst umzugehen. Diese Gefühle erscheinen den Betroffenen äußerst unangenehm bis unerträglich, so dass sich bei ihnen bestimmte Mechanismen entwickelt haben, um diese Emotionen nicht mehr wahrnehmen zu müssen. Solche Phänomene sind als sog. „Übersprungshandlungen“ auch aus der Forschung mit Säugetieren bekannt (sog. vergleichende Verhaltensforschung). Das Prinzip geht folgendermaßen: Ein Lebewesen kommt in eine als ausweglos erlebte Stresssituation, welche höchst unangenehme Gefühle verursacht; entfliehen kann es nicht, also nimmt es zur Stressreduktion Zuflucht zu Verhaltensgewohnheiten, die sich in der Vergangenheit aus irgendwelchen Gründen in Problemsituationen bewährt haben. Im Tierreich sind dies z.B. Putzverhalten, bestimmte Wegemuster ablaufen (die sich einmal bewährt haben) oder aber auch Haareausreißen. Auf einen Außenstehenden wirkt dies üblicherweise bizarr. Tatsächlich aber hat solches Verhalten einen guten Grund: Fellpflege z.B. ist ein an sich nützliches Verhalten, also prüft der Organismus, ob es sich in einer Stresssituation bewährt. Entsprechend ist es bei Zwangsbetroffenen: Die Hauptzwangsthemen Waschen, Kontrollieren und Sammeln sind in der Entwicklungsgeschichte des Menschen von Nutzen, deshalb ins genetische Erbe eingegangen und werden deshalb in Stresssituationen als Übersprungshandlungen bemüht. Stresssituationen aber sind z.B. zwischenmenschliche Probleme und die von ihnen verursachten starken Ängste oder Ärgergefühle, so dass der Organismus versucht sich auf diesem Weg zu helfen. Die oben erwähnte genetische Disposition sorgt dann dafür, dass es in der Endausprägung zu einer Zwangsstörung kommt, und nicht etwa zu einer Phobie oder Depression.
Es liegt auf der Hand, dass solche kritischen Emotionen natürlich durch übliche zwischenmenschliche Konflikte ausgelöst werden, also z.B. Partnerprobleme, Probleme mit der Herkunftsfamilie und Schwierigkeiten am Arbeitspatz, um die wichtigsten zu nennen. Die Ausbildung einer Zwangssymptomatik dient der innerpsychischen Stressregulation, vermindert also das Leiden unter den problematischen Gefühlen bei Problemkonstellationen, an welchen man momentan nichts ändern kann. Darüber hinaus ist es sogar sehr oft so, dass das Bemerken des Zwangssymptoms durch die Umwelt zu Schonung, Rücksichtnahme etc. führt, was letztlich für den Betroffenen durchaus nützlich sein kann. Man spricht dann von einer sogenannten „Funktionalität“, die auf lange Sicht in vielen Fällen zur Hauptursache bei der Aufrechterhaltung einer Zwangsstörung wird.
Kommentar verfassen