Online existieren viele fachliche Erklärungen. Mir gefällt ganz besonders gut, was das Institut für Verhaltenstherapie-Ausbildung Hamburg leicht verständlich und sehr treffend zusammengefasst hat unter https://www.ivah.de/patienten-psychische-stoerungen-zwangsstoerung.html . Für einen optimierten Lesefluss kopiere ich euch die 4 Texte hier ein:
ERKLÄRUNG
Zwangsstörungen zählen zu den Angststörungen. Die Betroffenen leiden entweder an quälenden und angstauslösenden Vorstellungen und Gedanken (Zwangsgedanken), welche sie zu vermeiden versuchen. Oder die Betroffenen führen bestimmte Handlungen immer wieder unter innerem Drang durch (Zwangshandlungen), da sie sonst schlimme Folgen fürchten.
Den Betroffenen von Zwangsstörungen kommen immer wieder bestimmte Gedanken in den Sinn (z.B. „Habe ich die Haustür abgeschlossen?“, „Habe ich den Ofen ausgemacht?“), die sie beunruhigen und die dann dazu führen, dass sie bestimmte Handlungen immer wieder ausführen müssen. Zum Beispiel kontrollieren Betroffene mehrfach, ob die Haustür auch tatsächlich abgeschlossen und der Ofen ausgemacht ist, oder sie waschen sich wieder und wieder die Hände, wenn der Gedanke kommt, sich mit etwas angesteckt haben zu können. Vielleicht kommen ihnen auch immer wieder Gedanken in den Sinn, etwas Schreckliches tun zu können, so dass sie lieber schnell an etwas anderes denken und sich ablenken.
Ab wann spricht man von einer Zwangsstörung?
Nicht jede „Marotte“ ist gleich ein Zwang: viele Menschen kennen das zeitweilige Auftreten ungewollter innerer Bilder oder Gedanken, „die einen nicht loslassen“. Viele Menschen haben ihre Alltagsroutinen und Gewohnheiten, an denen sie festhalten, obgleich es keinen „vernünftigen Grund“ hierfür gibt (der Sonntagmorgen „muss“ immer auf eine bestimmte Weise ablaufen, der Kaffee wird nach einem bestimmten Ritual bereitet). Auch ist es gar nicht so selten, dass ein zweites Mal überprüft wird, ob der Wecker richtig gestellt oder das Bügeleisen ausgeschaltet ist.
Von einer Zwangsstörung spricht man hingegen, wenn die Denkgewohnheiten und Verhaltensweisen über einen längeren Zeitraum bestehen, quälend sind und Angst auslösen sowie das Leben der Betroffenen deutlich einschränken. Nicht selten ist dies durch den großen Zeitaufwand von mehreren Stunden täglich gekennzeichnet.
Welche Zwangsstörungen werden unterschieden?
Man unterscheidet zwischen Zwangsstörungen, die hauptsächlich aus Zwangshandlungen bestehen und Zwangserkrankungen, die hauptsächlich aus Zwangsgedanken bestehen. Zumeist bestehen Zwangsstörungen jedoch sowohl aus Zwangsgedanken als auch aus Zwangshandlungen: erst drängt sich ein Zwangsgedanke auf („Habe ich die Tür abgeschlossen? Ich wäre schuld, wenn eingebrochen wird.“), dann folgt – quasi zur Beruhigung der aufkommenden Angst – die Zwangshandlung (in diesem Fall die Kontrolle, ob die Tür verriegelt ist).
Zwangshandlungen sind Verhaltensweisen, die immer wieder durchgeführt werden „müssen“, oft in einer ritualisierten Form. Betroffene fühlen sich wie unter einem inneren Drang, diesen Handlungsimpulsen wiederholt nachzugehen, obwohl ihnen vielleicht im Nachhinein „auf Verstandesebene“ bewusst ist, dass die Handlungen übertrieben oder sinnlos sind. Oft wird auch versucht, diesen Handlungen Widerstand entgegen zu setzen. Meist bleibt dieser Widerstand jedoch erfolglos, da eine starke Angst oder Unruhe entsteht, wenn dem Zwang nicht nachgekommen wird. Unterschieden werden Kontrollzwänge, Wasch- und Reinigungszwänge sowie Kombinationen hieraus. Nicht selten treten auch Wiederholungszwänge (z.B. das mehrfache Durchführen von Routinehandlungen), Zählzwänge, Ordnungs- und Symmetriezwänge, sowie Sammelzwänge auf.
Zwangsgedanken sind wiederkehrende und aufdringliche Gedanken, Ideen oder bildliche Vorstellungen, die den Wertvorstellungen der Betroffenen entgegengesetzt sind. Häufig kommen aggressive (beispielsweise der Gedanke, sich selber oder anderen Leid zufügen zu können), sexuelle oder religiös-blasphemische Inhalte vor. Insgesamt treten reine Zwangsgedanken seltener auf als Zwangshandlungen.
HÄUFIGKEIT
Insgesamt sind Zwangsstörungen nicht so selten, wie Sie vielleicht zunächst gedacht haben: etwa 2-3% der Bevölkerung leiden zumindest einmal in ihrem Leben an einer Zwangsstörung, Zwänge sind damit die fünfthäufigste psychische Erkrankung.
Zwangsstörungen treten bei Männern und Frauen in etwa gleich häufig auf. Meist beginnt die Störung im frühen Erwachsenenalter mit Anfang 20 (bei 65% der Patienten vor dem 25. Lebensjahr), Männer erkranken in der Regel ca. fünf Jahre früher als Frauen. Nicht selten bestehen Zwangsstörungen über einen Zeitraum von mehreren Jahren und schränken das Leben immer weiter ein, bis eine angemessene und erfolgreiche Behandlung aufgesucht wird.
Menschen, die an Zwangsstörungen leiden, leiden häufig parallel an verschiedenen anderen psychischen Erkrankungen, oft sind dies begleitende depressive Erkrankungen und Angststörungen (insbesondere soziale Ängste).
→ Zwangsstörungen treten gar nicht so selten auf. Eine Behandlung ist wichtig, damit es nicht zur Chronifizierung kommt.
ENTSTEHUNG & AUFRECHTERHALTUNG
Zwangsstörungen können verschiedene Ursachen haben. Zumeist sind viele verschiedene Faktoren (wie einzelne „Mosaiksteine“) daran beteiligt, dass eine Zwangsstörung entstanden ist. Dies sind genetische Faktoren und eine gestörte Balance von Hirnbotenstoffen, aber vor allem auch ungünstige Lernerfahrungen (meist schon im Kindes- und Jugendalter) und bestimmte Persönlichkeitsmerkmale. Aufrechterhalten wird eine Zwangsstörung über einen sich selbst verstärkenden Teufelskreis.
Heutige Modelle der Entstehung und Aufrechterhaltung von Zwangsstörungen sind sogenannte „multifaktorielle Modelle“. Diese Modelle gehen davon aus, dass eine Vielzahl verschiedener Faktoren und deren Wechselwirkung dazu beitragen, dass eine Zwangsstörung entsteht und oft über Jahre bestehen bleibt. Das Herausarbeiten von individuellen Faktoren der Betroffenen ist ein wichtiger Schritt in der Psychotherapie.
Was macht möglicherweise für Zwänge empfänglich?
Biologische Faktoren:
Möglicherweise haben Betroffene eine gewisse genetische Veranlagung für das Ausbilden von Zwangssymptomen. In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass für Angehörige von Menschen, die an einer Zwangsstörung leiden, ein 3- bis 12-fach erhöhtes Risiko besteht, ebenfalls an einer Zwangsstörung zu erkranken. Womöglich ist dieser genetische Einfluss bei Zwangsgedanken und bei einem frühen Beginn der Störung besonders hoch. Heute wird zudem davon ausgegangen, dass Zwänge mit einer Überaktivität in bestimmten Hirnregelkreisen einhergehen, so dass automatische Handlungsimpulse schlechter gehemmt werden können. Auch scheinen bestimmte Botenstoffe im Gehirn (sogenannte „Neurotransmitter“, v.a. Serotonin, aber auch Noradrenalin) nicht ausreichend vorzuliegen, was den positiven Effekt einer begleitenden medikamentösen Behandlung bei schweren Zwangsstörungen erklärt.
Psychologische Faktoren:
Entscheidend für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Zwangserkrankungen sind bestimmte Lernerfahrungen, Lebensereignisse und Persönlichkeitsfaktoren. Häufige Kindheitserfahrungen, die Menschen mit Zwängen gemacht
haben, sind seitens des Elternhauses hohe Leistungserwartungen und Strenge, hohe moralische Standards und ein eher überbeschützender Erziehungsstil, welcher wenig Autonomie ermöglichte. Als überdauernde Persönlichkeitsfaktoren können bei den Betroffenen dann z.B. Perfektionismus, verinnerlichte hohe Standards, erlebte hohe Verantwortlichkeit, Ängstlichkeit und hohe Angepasstheit an Normen und Wertvorstellungen entstehen.
Wichtig ist es auch, dem Zeitpunkt des ersten Auftretens der Zwangssymptomatik vermehrt Aufmerksamkeit zu schenken. Sind die Zwänge in einer spezifischen Belastungssituation erstmalig aufgetreten? Nicht selten berichten Betroffene, dass das erste Auftreten der Zwänge in einer Zeit lag, in welcher sie mit neuen Anforderungen umgehen mussten (beispielsweise der Auszug von zu Hause, der Beginn des Berufslebens). Bei einigen Betroffenen bestehen die Zwänge
jedoch auch seit der frühen Jugend und zeigen einen chronischen, oft auch wechselhaften Verlauf. Entscheidend ist, dass zumeist kein einzelner Faktor für sich alleine die Entstehung der Zwangsstörung bedingt, sondern dass verschiedene
Mosaiksteine aus Biologie, Kindheit, Persönlichkeit und speziellen Lebenserfahrungen zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Zwangsstörung zu der Entwicklung des Zwanges beigetragen haben.
Wie werden Zwangsstörungen aufrechterhalten?
Es gibt verschiedene Gründe, warum ein Zwang trotz der hohen “ Kosten“ und des Leidens, die er jeden Tag verursacht, ein so hartnäckiger Begleiter werden kann. Ein Grund besteht darin, dass möglicherweise die Faktoren, die zur
Entstehung des Zwanges geführt haben, weiterhin bestehen. Ganz entscheidend dafür, dass eine Zwangsstörung aufrechterhalten wird, ist ein sich selbst verstärkender Teufelskreis der Zwangsstörung.
Der Teufelskreis der Zwangsstörung:
Entscheidend für die Aufrechterhaltung des Zwanges sind vor allem Gedanken, die während einer Zwangshandlung auftreten, sowie die gedanklichen und gefühlsmäßigen Folgen der Zwangshandlung.
Man geht davon aus, dass aufdringliche Gedanken (z.B. „Ist der Herd aus?“) zunächst völlig normal sind und bei vielen Menschen vorkommen. Problematisch wird ein aufdringlicher Gedanke dadurch, dass ihm eine abnorme und mit Gefahr verbundene Bedeutung zugeschrieben wird. Diese Interpretation führt dann zu Angst und Unruhe, der Betroffene erlebt einen starken Handlungsbedarf („Ich muss das kontrollieren, sonst passiert etwas Schlimmes und ich bin schuld!“). Wird dem Handlungsimpuls dann nachgekommen, d.h. wird z.B. die Kontrollhandlung ausgeführt, führt dies zu einer kurzzeitigen Beruhigung. Gleichzeitig ist das Ausführen der Kontrollhandlung aber auch ein Signal dafür, dass die hohe Bedeutung des Gedankens angemessen war („Gut, dass ich noch mal nachgeschaut habe, wer weiß, was sonst passiert wäre!“). Auf diese Weise ist ein Teufelskreis entstanden, der den Zwang aufrechterhält, und der im Verlauf der Behandlung durchbrochen werden muss.
Hier ist der Teufelskreis der Zwangshandlungen noch einmal bildlich dargestellt:
Treten Zwangsgedanken auf, die einen aggressiven oder sexuellen Inhalt haben (oder einen sonstigen Inhalt, der Schuldgefühle hervorruft), sieht der Teufelskreis meist folgendermaßen aus: Ein aggressiver Gedanke (z.B. „Ich könnte meiner Freundin etwas antun.“) wird als gefährlich interpretiert. Der*die Betroffene hält diesen Gedanken für zutreffend („Der Gedanke könnte wahr werden, ich könnte das tatsächlich tun.“). Als Folge versucht der*die Betroffene, diesen Gedanken zu vermeiden („Bloß nicht daran denken, wer weiß, ob ich das sonst tue.“) oder durch „Gegengedanken“ zu „neutralisieren“
(„Schnell an etwas anderes denken“). Teilweise schließt sich hier ein gedankliches Ritual an (das kleine 1×1 aufsagen, ein Gedicht oder Gebet aufsagen, zählen…).
Als Folge dieser Gedankenkontrolle werden die Zwangsgedanken jedoch nicht weniger, sondern mehr. Das ist ganz ähnlich, als würde man versuchen, nicht an einen rosa Elefanten zu denken: in dem Moment, wo man dies mit aller Macht versucht, lässt einen der aufdringliche Gedanke gar nicht mehr los. Man denkt ständig wieder an den rosa Elefanten.
Hier ist der Teufelskreis der Zwangsgedanken noch einmal bildlich dargestellt:
Manchmal sind es auch scheinbar banale Faktoren, die ein Aufrechterhalten der Zwänge ermöglichen. Die Zwänge sind oft stärker, wenn man innerlich unter Anspannung steht, unter Zeitdruck ist, wenig geschlafen hat etc. Hier kann eine Protokollierung der Zwänge dazu dienen, ungünstige Lebensgewohnheiten zu identifizieren. Häufig hat eine psychische Störung, neben dem Leiden, das sie verursacht, „positive“ Nebeneffekte für die Betroffenen. Z.B. kann es sein, dass der Zwang dabei „hilft“, sich mit bestimmten schwierigen Situationen und Defiziten nicht auseinandersetzen zu müssen. In diesen Fällen spricht man von einer „Funktionalität“ des Zwanges. Vielleicht ist der Zwang erstmalig in einer Lebensphase aufgetreten, in welcher der*die Betroffene sich vermehrt gegen die Anforderungen der Mitmenschen abgrenzen musste. Wenn diese Abgrenzung schwer fällt, kann der Zwang die schwierige Aufgabe der Abgrenzung für den Erkrankten übernehmen.
Die biografisch-systemische Analyse gemeinsam mit einem*r Therapeut*in wird hier die relevanten „positiven Funktionen“ des Zwanges herausstellen. Anhand dieser Analyse wird hier schon deutlich, dass es sich bei der Behandlung des Zwanges nicht um eine reine Behandlung des Symptoms handeln kann, sondern dass auch diese „Faktoren im Hintergrund“ in der Behandlung berücksichtigt werden müssen.
BEHANDUNG
Die Behandlung einer Zwangsstörung berücksichtigt die Faktoren, die dazu beigetragen haben, dass die Störung entstanden ist und aufrechterhalten wurde. Zunächst werden gemeinsam mit dem*r Therapeut*in Ziele für die Behandlung erarbeitet und die Zwänge sehr konkret beobachtet. Dann lernen Betroffene, sich den Situationen, die normalerweise die Zwänge ausgelöst haben, zu stellen und – anstelle der Zwänge – andere Wege zu finden, mit den aufkommenden Gefühlen umzugehen.
Der Ablauf ist also grob der folgende:
- Individuelle Faktoren für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Zwangsstörung erarbeiten
- Ziele festlegen: Was möchte ich in der Therapie erreichen?
- Zwänge durch Selbstbeobachtungen analysieren
- Konfrontationen mit den zwangsauslösenden Situationen
- Arbeit an den Hintergründen der Störung
Die Therapie wird zwei Behandlungsstränge verfolgen: zum einen die Arbeit am Symptom der Zwänge selber, zum anderen die Therapie am Symptomhintergrund.
Wie läuft die Behandlung einer Zwangsstörung konkret ab?
Zunächst wird gemeinsam mit dem*r Therapeut*in herausgearbeitet, welche Faktoren bei zur Entstehung der Zwänge beigetragen haben und welche Faktoren sie aufrechterhalten. Dieses individuelle „Erklärungmodell“ ist dann die Basis, um hieraus sowohl Ziele für die Arbeit an der Zwangsstörung selber als auch Ziele bezogen auf den Hintergrund der Störung abzuleiten.
Zu Beginn wird wahrscheinlich die direkte Arbeit an der Zwangssymptomatik selber (dem „Symptom“) im Vordergrund stehen. Dies ist entscheidend, um dem oben beschriebenen Teufelskreis und einer weiteren Ausweitung der Zwangssymptomatik entgegen zu wirken und die Zwangssymptomatik schrittweise zu reduzieren. Es werden klare Therapieziele hinsichtlich der Zwangssymptomatik formuliert und diese Ziele schrittweise erarbeitet. Hierzu gehören genaue Selbstbeobachtungen des Zwangsverhaltens, indem die Zwänge protokolliert und die Situationen, in denen die Zwänge auftreten, genau analysiert werden. Dieses Vorgehen zeigt den Betroffenen, unter welchen Bedingungen die Zwänge in welcher Stärke auftreten. Auch wird mit dem*r Therapeut*in eine Angst- oder Schwierigkeits-Rangliste der zwangsauslösenden Situationen erstellt.
Nach dieser Selbstbeobachtungsphase wird der*die Therapeut*in die Betroffenen darin unterstützen, sich den Situationen, die üblicherweise zu Zwangsverhalten führen, zu stellen. Mit Hilfe des*r Therapeut*in wird gelernt, diese Situationen zu bewältigen, ohne auf das Zwangsverhalten zurückzugreifen. In der Fachsprache wird diese Methode als „Exposition mit Reaktionsmanagement“ bezeichnet. Exposition mit Reaktionsmanagement ist die effektivste Methode zur Behandlung von Zwangsstörungen. Ziel dieser Expositionen ist es, sich den angst- und zwangsauslösenden Situationen direkt und willentlich auszusetzen und die aufkommende Angst und Unruhe zu bewältigen, ohne das Zwangsverhalten auszuführen. In ähnlicher Weise wird bei der Behandlung von Zwangsgedanken vorgegangen: Auch hier ist das Ziel, sich mit den angstauslösenden Zwangsgedanken (beispielsweise dem Gedanken, einem anderen Menschen etwas antun zu können) zu konfrontieren und die Erfahrung zu machen, dass diese Gedanken ungefährlich sind. Selbstverständlich wird ein*e Therapeut*in nicht einfach „mit der Tür ins Haus fallen“, sondern die Expositionen mit dem*r Patient*in sehr sorgfältig vorbereiten. Der*die Patient*in ist also jederzeit über das genaue Vorgehen und den genauen Sinn einer Übung informiert. Die Übungen finden dann auch in seinem*ihrem individuellen Tempo statt. Wichtig ist, sich auch außerhalb der Therapiestunden mit den Konfrontationsübungen zu befassen (etwa im Rahmen von „Übungen in Eigenregie“), welche dann in den Therapiestunden detailliert vor- und nachbesprochen werden. Je öfter die Übungen durchgeführt werden, desto leichter werden sie fallen. → Entscheidend ist häufiges „Üben“ (auch zu Hause).
Die Betroffenen werden zudem im Verlauf der Therapie lernen, die Zwänge als „Warnsignal“ einer erneuten erhöhten Belastung zu verstehen und zu nutzen. Eine erneute Verstärkung der Zwänge kann ein guter Indikator für die aktuelle Lebensführung sein.
In einem zweiten Behandlungsstrang werden die Hintergründe der Zwangsstörung stärker in den Fokus gerückt. Hier gilt es, persönliche Lebenserfahrungen und deren Bezug zur Zwangsstörung herauszuarbeiten und zu vertiefen. Die biografisch- systemische Verhaltenstherapie ist hier geeignet, heutiges Verhalten und Erleben an alte Verhaltens- und Erlebens“muster“ anzubinden und damit erklärbar zu machen. Auch können im Hintergrund stehende ungünstige Glaubenssätze und „Lebensanschauungen“ herausgearbeitet werden. Diese Lebensanschauungen können dann gemeinsam auf ihre Gültigkeit und auf die durch sie verursachten „Kosten“ überprüft werden. Manchmal macht es auch Sinn, die verschiedenen „intellektuell gewonnenen“ Einsichten durch ganz bestimmte Verfahren (Vorstellungsübungen, Körperübungen) „erlebbarer“ zu machen.
Möglicherweise stellt es sich hier im Verlauf als zentral heraus, wichtige zwischenmenschliche Kompetenzen (z.B. Konfliktfähigkeit, Abgrenzungsfähigkeit etc.) zu verbessern, um z.B. im Kontakt mit anderen eigene Bedürfnisse besser umsetzen zu lernen. Falls deutlich wird, dass hinter dem Zwang Probleme des Selbstwertes oder Probleme der Wahrnehmung und Bewältigung von Gefühlen stehen, kann in diesen Bereichen weiter gearbeitet werden.
Diese zwei-strangige Therapie nach biografisch-systemischen Gesichtspunkten erfordert von dem*r Betroffenen und dem*r Therapeut*in eine stetige Reflexion des Therapieverlaufes, um möglichen „Stolpersteinen“ und „Therapiehindernissen“ möglichst frühzeitig begegnen zu können. Daher wird der*die Therapeut*in in regelmäßigen Abständen gemeinsam mit den Patient*innen den jeweils aktuellen Stand der Zielerreichung (Wo stehen wir in Bezug auf die Symptom- und Hintergrundziele?) reflektieren.
Wie sinnvoll ist eine medikamentöse Behandlung?
Bei schweren Zwangssymptomen kann es sinnvoll sein, zusätzlich zu einer Verhaltenstherapie eine medikamentöse Behandlung einzuleiten. Als Medikamente werden sogenannte „Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer“ (SSRI) gegeben, ebenso bestimmte trizyklische Antidepressiva, welche in den Stoffwechsel des Gehirnbotenstoffes Serotonin eingreifen. Auch Medikamente, die den Stoffwechsel von Noradrenalin (einem zweiten Botenstoff im Gehirn) beeinflussen, können gute Effekte zeigen. Ähnliche Medikamente werden auch bei Depressionen gegeben (was aber natürlich nicht heißt, dass Betroffene zusätzlich an einer Depression leiden müssen).
Die Wirkung der Medikamente setzt frühestens nach 4-8 Wochen ein und es ist wichtig, die Medikation für mindestens ein Jahr beizubehalten. Durch die Medikation wird eine schrittweise Besserung erreicht,
jedoch kommt es nach Absetzen der Medikamente in einem Großteil der Fälle zu Rückfällen. Wichtig ist also, eine medikamentöse Behandlung mit einer Psychotherapie zu kombinieren, um einen langfristigen Therapieerfolg zu haben. Außerdem können die Medikamente alleine natürlich nicht die Ursache der Probleme lösen. Zwangsgedanken sprechen tendenziell besser auf eine medikamentöse Behandlung an als Zwangshandlungen. Hier kann es Sinn machen, sogenannte „atypische Neuroleptika“ in niedriger Dosierung oder Sulpirid zu geben. Bei einer schweren Zwangssymptomatik wird sich der*die Therapeut*in nach Absprache mit dem*r Patient*in an den*die mitbehandelnde*n Facharzt*ärztin wenden und eine kombinierte Behandlung anstreben.
Das war eine Menge Input, aber so hilfreich, um diese komplexen Zusammenhänge wirklich zu verstehen. Wie hat euch diese Erklärung gefallen?
In meinem nächsten Post erzähle ich euch von meinen Zwängen.